Dichterlesung und Lesebogen
Seit 1990 organisiert die Fachschaft Deutsch Lesungen mit renommierten deutschsprachigen Autor*innen, die stets ein riesiges Publikum anziehen. Parallel dazu entsteht der Murnauer Lesebogen, mit speziell ausgewählten Textauszügen des jeweiligen Schriftstellers.
Der Lesebogen - Hintergründe
„Wenn du einen Garten und dazu noch eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen.“
(Cicero, römischer Politiker und Philosoph, 106 v. Chr. – 43 v. Chr.)
Spätestens seit PISA ist die Bedeutung der Lesekompetenz in der öffentlichen Diskussion fest verankert. An Schulen und anderen Bildungsinstitutionen entstanden Modelle und Handreichungen zur Leseförderung. Schüler an das Lesen heranzuführen, sie für Literatur und den Literaturbetrieb zu interessieren, war uns Deutschlehrern schon immer ein wichtiges Anliegen. Die Begegnung mit einem Gegenwartsautor bzw. einer Schriftstellerin bildet das Kernstück der Idee des "Murnauer Lesebogens".
Nachdem die ursprüngliche Lesebogen-Reihe, die seit 1990 im Rahmen einer Lesereise an Schulen in Bayern und Thüringen die Autoren Reiner Kunze, Walter Kempowski, Tankred Dorst, Martin Walser, Michael Ende, Gertrud Fussenegger, Peter Härtling, Thomas Hürlimann, Rafik Schami, Peter Bichsel und Herbert Rosendorfer geholt hat, im Jahr 1999 zu Ende gegangen ist, führen wir das Projekt in eigener Regie fort.
Im Deutschunterricht arbeiten alle Klassen und Kurse unseres Gymnasiums zur Vorbereitung der Dichterlesung mit dem Lesebogen, der von einem sechsköpfigen Redaktionsteam erarbeitet wird. Der Lesebogen besteht aus folgenden Komponenten:
- einem das Auge ansprechenden Äußeren mit farbigem Umschlag mit einem Foto des Autors auf der Vorderseite und einem Autographen auf der Rückseite
- einem 16-seitigen Druckbogen (aus drucktechnischen Gründen ist eine Entscheidung für 4, 8, 16, 32 usw. Seiten notwendig; 20 Seiten z.B. wären wegen des großen Verschnitts erheblich teurer). Der Druckbogen enthält das Titelblatt mit dem Lesebogen-Logo des Grafikers Thomas Rückert (aufgeschlagenes Buch und Schreibfeder in Kombination), das Impressum, 13 Seiten mit Texten, eine Kurzbiographie und eine Bibliographie.
Die Texte im Lesebogen erscheinen in der Regel chronologisch nach ihrem Erscheinen geordnet. Biographie und Bibliographie eignen sich für eine erste Annäherung an den Lesebogen im Unterricht zusammen mit der Betrachtung des Umschlags, zumal die Handschrift für graphologische Überlegungen durchaus ergiebig sein kann – Biermann schreibt übrigens perfekt in Spiegelschrift, aber auch beidhändig gleichzeitig Normal- und Spiegelschrift!
Der jeweilige Titel des Lesebogens entstammt immer dem Werk des Autors, wir verwenden dazu Kapitelüberschriften, Gedichttitel, aber auch knappe, aussagekräftige Passagen. Der Autograph wird vom jeweiligen Autor mit einem im Lesebogen selbst abgedruckten Textausschnitt gestaltet.
Oberste Maxime der Auswahl der Autoren ist, dass wir keine Autorenförderung betreiben, d.h. ein gewisser Bekanntheitsgrad mit entsprechenden Veröffentlichungen ist Voraussetzung. Mit einer Ausnahme im Jahr 2001 – das Staffelsee-Gymnasium Murnau beteiligte sich mit einer Lesung an den Feierlichkeiten zu Ödön von Horváths 100. Geburtstag – laden wir nur Autoren ein, die bereit sind, auch zu lesen und deren Honorare für eine Schule erschwinglich sind, da sich das Projekt selbst finanzieren muss. Zu unserer Freude kommen die Schriftsteller gerne, zumal sie sich in eine Reihe einreihen können, die sich sehen lassen kann.
Seit wir die Veranstaltung in eigener Regie durchführen, sind folgende Lesebogen erschienen:
Wolf Biermann, Um Deutschland ist mir gar nicht bang, November 2000
Ödön von Horváth, Ach wir armen Kulturmenschen, Oktober 2001
Dieter Kühn, Reisen durch Raum und Zeit, Februar 2002
Uwe Timm, Schmecken und Erzählen, Februar 2003
Hanns-Josef Ortheil, Elephanten des Lesens, Februar 2004
Hans-Ulrich Treichel, Selbstporträt, korrigiert, Februar 2006
Juli Zeh, Von Prinzessinnen und Marionetten, Februar 2007
Burkhard Spinnen, Eine Art Training, Januar 2008
Friedrich Ani, Alles unter Kontrolle, Januar 2009
Alex Capus, Ein Mangel an Mut, Januar 2010
Ilija Trojanow, Dieses Staunen ist mir geblieben, Februar 2011
Judith Hermann, Fast immer allein, Februar 2012
Feridun Zaimoglu, Ein Dorn im Auge, Februar 2013
Bernhard Schlink, Straße des Lichts, Februar 2014
Thomas Hürlimann, Unter diesen Sternen, Februar 2015
Wladimir Kaminer, Nichts Außergewöhnliches, März 2016
Jakob Hein, Keine zufällige Laune, März 2017
Eva Menasse, Brillanz und Frechheit, Februar 2018
Abbas Khider, Opfer der Hoffnung, Februar 2019
Franz Hohler, Irgendwohin ins Weite, Oktober 2021
Konstantin Wecker, Nur nie ungefähr, Oktober 2022